Veranstaltung: | 59. Landesversammlung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen am 23.11.2024 in Chemnitz |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Verschiedenes |
Antragsteller*in: | LAG Migration, Integration, Antidiskriminierung (dort beschlossen am: 01.11.2024) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
Eingereicht: | 01.11.2024, 19:42 |
V3: Neue Sicherheit in unsicheren Zeiten – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen fordern Vernunft, Pragmatismus und Rechtsstaatlichkeit in der Migrationspolitik auf allen Ebenen.
Antragstext
Gesamtgesellschaftlich erleben wir einen tiefgreifenden Wandel, in dem bewährte
Sicherheiten verloren gehen und die Folgekosten zunehmend sichtbarer werden. In
diesem Kontext erscheint eine Isolationspolitik manchen als vermeintliche
Lösung, um Stabilität zu bewahren und Herausforderungen im Inneren besser
kontrollieren zu können.
Eine Politik der Abschottung bedeutet eine enorme Belastung aller Menschen in
Deutschland. Die Bewegung von Menschen und Gütern gehört zu den wesentlichen
Dynamiken unserer globalisierten Zeit. Aus ökonomischer Sicht würde ein Verzicht
auf Zuwanderung zu erheblichen Wachstumseinbußen und Versorgungsengpässen
führen. In sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht stehen wir vor einem
wachsenden Konkurrenzdruck, in dem ökonomisch schwächere Gruppen das Nachsehen
haben. Dies verstärkt rassistische Strukturen und führt zu einem Erstarken
völkischen Denkens, das als „Schutz“ vor globalen Entwicklungen gesehen wird.
Unsere Aufgabe ist es, die Stärke Europas zu bewahren: eine Gesellschaft, die
auf Gleichberechtigung, Respekt und eine konstruktive Fehlerkultur setzt. Wir
bekräftigen daher die Notwendigkeit effektiver Sicherheitsmaßnahmen gegen
Terror, die sachkundig geplant, verantwortungsvoll umgesetzt und regelmäßig
überprüft werden. Bei schweren Straftäter*innen oder Extremist*innen, unabhängig
von ihrer Herkunft, muss der Rechtsstaat alle rechtsstaatlichen Mittel
ausschöpfen und sicherstellen, dass von diesen Personen keine Gefahr mehr
ausgeht. Extremistische Anschläge wie in Solingen dürfen nicht wieder geschehen.
Die BÜNDNISGRÜNE Verantwortung muss sich in einer umfassenden Antwort auf
demokratie- und menschenfeindliche Bestrebungen zeigen und nicht im Mitmachen
bei der politischen Umsetzung einer in den Populismus abgeglittenen Debatte. Als
Einwanderungsland muss Deutschland die Herausforderungen und Potenziale der
Migrationspolitik anerkennen und die Gleichberechtigung der migrantischen
Bevölkerung als grundlegende Aufgabe begreifen und besonnen angehen.
die Verbesserung der Arbeit der Ausländerbehörden durch Abbau von
Bürokratie, personelle Stärkung sowie die Verbesserung der Qualität der
Bearbeitung durch Maßnahmen wie Förderung der Mehrsprachigkeit in
Behörden, Schulungen des Personals sowie Anwendungshinweise zur Nutzung
von Ermessensspielräumen für Integration;
Maßnahmen zur erfolgreichen Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete, wie
Unterstützung von Menschen, die bereits in Sachsen leben, als Priorität
vor aufwendigen Anwerbungsprogrammen, vereinfachte
Berufsqualifizierungsfeststellung, personelle Stärkung der Stellen zur
Durchführung der Berufsanerkennungsverfahren sowie Unterstützung von
Unternehmen, insbesondere KMU, bei der Einstellung und Integration
Neuzugewanderter;
die Förderung der aktiven Teilhabe von Migrant*innen an
Integrationsprozessen durch gezielte Unterstützung von
Migrantenorganisationen und -netzwerken, die als Brückenbauer agieren.
Dies umfasst finanzielle Mittel, strukturelle Förderung und Anerkennung
von Migrantenorganisationen als wichtige Akteure bei der Gestaltung und
Durchführung von Integrationsmaßnahmen.
Die künftige sächsische Regierung muss zudem Maßnahmen ergreifen, um
Menschenrechte zu schützen und sicherzustellen, dass Migrant*innen sicher und
diskriminierungsfrei in Sachsen leben können. In einer Gesellschaft, in der
Rechtsextremismus und Rassismus immer mehr Raum greifen, ist die staatliche
Pflicht zur Sicherung der Menschenrechte für alle besonders dringlich.
die Entwicklung und Umsetzung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes,
das Benachteiligungen gesetzlich verbietet und Einzelne vor
Diskriminierung schützt sowie das gesellschaftliche Klima der Vielfalt
fördert – Sachsen muss zeigen, dass hier alle Menschen gut leben können
und menschenfeindliches Verhalten keinen Raum hat;
Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung
grenzüberschreitender Kriminalität: Die EU soll gezielt Maßnahmen zur
Bekämpfung internationaler Kriminalität wie Menschenhandel, Schmuggel und
organisierte Schleusernetzwerke ergreifen. Dazu gehört eine enge
Kooperation mit Herkunfts- und Transitländern, der Aufbau gemeinsamer
Ermittlungs- und Informationszentren sowie die Unterstützung beim Aufbau
rechtsstaatlicher Strukturen vor Ort.
Die gesellschaftliche Debatte rund um das Thema Asyl wird bundesweit mit großer
Vehemenz geführt. Nicht selten gleitet sie in populistische Parolen und
rassistische Stimmungsmache ab. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen kritisieren diese
Debattenentwicklung entschieden. Wir erkennen an, dass Herausforderungen bei der
Umsetzung von Integrationsaufgaben vor Ort und Angst vor islamistischem Terror
den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Wir sprechen uns entschieden
dagegen aus, dass als Konsequenz aus der aktuellen Verunsicherung
bundespolitisch im Bereich Asylpolitik mit dem Abbau von Grundrechten von
Asylsuchenden und der Aushöhlung des Asylrechts geantwortet wird. Mit Sorge
beobachten wir im Schnellverfahren durchgesetzte Asylrechtsverschärfungen auf
Bundesebene.
Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen kritisieren wir mit Nachdruck die im
sogenannten Sicherheitspaket beschlossenen Asylrechtsverschärfungen,
insbesondere den Leistungsausschluss für Schutzsuchende, bei denen die Ausreise
in einen nach Dublin-Verfahren zuständigen Drittstaat rechtlich und faktisch als
möglich eingeschätzt wird.
Der vollständige Entzug von Sozialleistungen setzt Menschen auf die Straße, die
in der Regel an ihrer Ausreise gar nicht selbst mitwirken können, da die
Überstellung staatlich organisiert wird. Der Entzug existenzsichernder
Leistungen umfasst auch das Entziehen medizinischer Unterstützung, was
lebensgefährlich werden kann. Die geplante Maßnahme ist ein Dammbruch in der
Entrechtung und Gefährdung von Geflüchteten. Dass unter dem Druck des
Bundeskanzlers, des Innenministeriums und unter grüner Regierungsbeteiligung
derartige Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, ist für uns nicht hinnehmbar.
Durch die asylrechtlichen Maßnahmen im sogenannten Sicherheitspaket wird
Deutschland nicht sicherer, sondern unsicherer. Denn es steht zu befürchten,
dass der Leistungsentzug Menschen in existenziell bedrohliche Notlagen versetzt.
Zudem kann die Deklarierung derartiger Maßnahmen als Sicherheitsmaßnahme
rechtspopulistische Narrative, die migrantische Personen unter Generalverdacht
stellen, stützen und somit Rassismus verstärken. Wir lehnen eine Politik, die
Menschen entrechtet und rassistische Narrative stärkt, entschieden ab.
Wir stärken unserer Bundestagsfraktion hiermit den Rücken, damit sie zukünftig
auf den Schutz von Menschenrechten beharrt. Wir sind Antrieb und Rückendeckung
für alle, die Asylpolitik vorantreiben, die pragmatisch ist, die den Schutz von
Menschenrechten zentral stellt und dies als Stabilisierung unserer Gesellschaft
begreift.
Pragmatische, menschenrechtsbasierte und stabilisierende Asylpolitik muss
Realitäten anerkennen. Das bedeutet zum einen, dass besonnen und mit guten
Lösungen auf wissenschaftliche Erkenntnisse und eine sachliche Darlegung der
Probleme in den Kommunen reagiert werden muss. Es muss zudem wieder anerkannt
werden, dass das Asylrecht sowie der Schutz von Grund- und Menschenrechten
geltende Rechte sind und ihre konsequente Umsetzung einen Schutz und eine Stärke
unseres Rechtsstaates darstellen.
die Wahrung des individuellen Rechts auf Asyl: Insbesondere die geplante
Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten birgt die Gefahr, dass
individuelle Asylanträge beeinträchtigt werden und Flüchtlingsrechte
missachtet werden. Das individuelle Recht auf Asyl muss gewahrt werden und
darf weder in der Praxis noch per Beschluss eingeschränkt werden. Auch
Zurückweisungen an deutschen Grenzen sind ein klarer Rechtsbruch und
müssen verhindert werden;
die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention: Die Genfer
Flüchtlingskonvention trat 1954 als Lehre aus dem unsolidarischen
Verhalten vieler Staaten gegenüber jüdischen Flüchtlingen während des
Nationalsozialismus in Kraft. Es darf nicht passieren, dass ausgerechnet
Deutschland mit seiner besonderen internationalen Verantwortung gegen die
Genfer Flüchtlingskonvention verstößt. Wir erwarten, dass die Genfer
Flüchtlingskonvention verbindlich eingehalten wird und jegliche geplanten
Änderungen im Asylrecht daraufhin geprüft werden, ob sie sich im Rahmen
der Flüchtlingskonvention bewegen;
den Stopp von Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan sowie in andere
Länder, in denen Bürgerkrieg oder diktatorische, menschenverachtende
Machthaber herrschen: Wir lehnen die Zusammenarbeit mit Terroristen und
Diktatoren, auch wenn sie zur Rückführungsorganisation von
Straftäter*innen erfolgt, entschieden ab und fordern das
Bundesinnenministerium, das sächsische Ministerium für Inneres und die
sächsische Landesdirektion auf, die Genfer Flüchtlingskonvention und die
Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten und Abschiebungen, bei
denen Menschen Gefahr für Leib und Leben droht, zu unterlassen;
das Verhindern von Diskriminierung und Behördenüberlastung durch eine
bundesweite Bezahlkarte mit restriktiver Bargeld- und
Überweisungsbegrenzung: Das Vorantreiben des Projekts „Bezahlkarte mit
Bargeldbegrenzung“ trotz fehlender Evidenz für Anlass oder Wirksamkeit der
Bargeldeinschränkung und trotz der Rückmeldungen aus den Kommunen, die
durch die Umsetzung der Bezahlkarte überfordert werden, ist sinnlose
Symbolpolitik auf dem Rücken der Betroffenen und der Behörden. Wir lehnen
diskriminierende Bezahlkartenmodelle entschieden ab;
Es wird immer wieder Phasen geben, in denen mehr Menschen nach Deutschland
kommen, und Zeiten, in denen es weniger sind. Die Strukturen eines
Einwanderungslandes müssen auf diese Veränderungen vorbereitet sein. Die
Schaffung von ausreichend Plätzen in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder
und dauerhaftem Wohnraum in den Kommunen ist dafür eine wesentliche Grundlage.
Ebenso wichtig sind Sprachkurse für alle sowie der gesicherte Zugang zu KiTa,
Schule und Ausbildung. Dieser muss durch ausreichend Mittel und Personal
gewährleistet werden. Hierbei wird in Ländern und Kommunen bundespolitische
Unterstützung benötigt.
Mit Spurwechsel und Einwanderungsgesetz wurden bundespolitisch Schritte in die
richtige Richtung unternommen, um Integration zu ermöglichen und integrierten
Personen eine stabile Perspektive zu bieten, Wir schlagen darüber hinaus vor,
Arbeitsverbote vollständig abzuschaffen und rechtlich festzulegen, dass alle
Menschen, die in Deutschland eine Ausbildung machen, studieren oder arbeiten
dauerhaft bleiben dürfen.
Als sächsische BÜNDNISGRÜNE sprechen wir uns für Vernunft, Pragmatismus und
Rechtsstaatlichkeit in der Migrationspolitik auf allen Ebenen aus. Eine
funktionierende und menschenrechtsbasierte Migrationspolitik ist eine wichtige
Säule eines stabilen, solidarischen und damit sicheren Miteinanders aller
Menschen.
Begründung
Statt die Chancen und Potenziale für eine zukunftsorientierte Migrationspolitik zu nutzen, dominieren in der öffentlichen Debatte Ressentiments und Ängste, die Abschottung und Ausgrenzung als vermeintliche Lösungen darstellen. Diese Haltung führt nicht nur zu einer Einschränkung der Grundrechte von Migrant*innen, sondern gefährdet auch die Werte unserer demokratischen Gesellschaft.
Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehen wir es als unsere Verantwortung, eine klare und menschenrechtsorientierte Position einzunehmen. Wir setzen uns für eine Migrationspolitik ein, die Integration ermöglicht und rassistischen sowie populistischen Strömungen entschieden entgegentritt.
Mit diesem Antrag fordern wir umfassende strukturelle Verbesserungen auf kommunaler, nationaler und europäischer Ebene. Unser Ziel ist es, durch eine sachliche, pragmatische und menschenrechtsbasierte Ausrichtung der Migrationspolitik die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in Sachsen zu fördern und unser demokratisches sowie rechtsstaatliches Miteinander zu stärken.
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